Andri Ragettli ist sichtlich entspannt, wenn er von seiner Heimat Flims und von seiner Kindheit
erzählt. Als kleiner Junge sei er wohl sehr mühsam gewesen, lächelt der Sechsundzwanzigjährige. «Es musste immer alles so laufen, wie ich es wollte.» Als Spitzensportler und als Unternehmer hat er auch heute immer einen Plan und eine genaue Vorstellung, wie er ihn umsetzen will. Meistens gehen seine Pläne auf. In Slopestyle und Big Air ist Andri auch in diesem Winter der Mann, den es zu schlagen gilt.

Andri ist Spitzensportler, Kreativdenker und Geschäftsmann. In Wettkämpfen springt er Vierfach-Salti mit fünf Schrauben, seine Social Media-Filme überraschen mit immer neuen, verrückten Stunts und auf seiner
Website verkauft er seine Marke ”AiR” an seine Fans weltweit. Andris Schwester Christina managt seine Medienarbeit und Bruder Gian produziert ganze TV-Formate mit ihm. «Wir pushen uns gegenseitig und sagen uns die Dinge offen und ehrlich», sagt Andri zum Zusammenhalt in seiner Familie.
Andri war noch sehr klein, als sein Vater starb. «Meine Mutter Beatrice hat hart
für uns gearbeitet und wir Kinder wurden dadurch früh selbständig.»

Wohl auch deshalb konnte sich Andri im Freestyle-Zirkus behaupten. Schon mit 15 fuhr er seinen ersten Weltcup und nur zwei Jahre später gewann er die Kristallkugel für die Gesamtwertung im Slopestyle. Sein Mental- Coach und Manager Marius Cadalbert war ihm dabei eine wichtige Stütze. "Marius ist ein Teil meiner Familie. Er war immer für mich da und stand neben mir, als ich die ersten Verletzungen überstehen musste".

In der rasanten Karriere von Andri Ragettli gab es scheinbar nur eine Richtung: steil aufwärts. Bis zum 16. März 2021: Im Big Air-Finale der Weltmeisterschaften erlitt er bei der Landung eines «Left Triple 1980» eine schwere Verletzung im linken Knie. Andri reiste sofort in die Klinik Gut nach St. Moritz, um sich vom Spezialisten Dr. Georg Ahlbäumer behandeln zu lassen. «Georg sagte mir offen, dass es kein einfacher Weg würde», erinnert sich Andri. «Aber ich bin einer, der sich in einem Tief schnell neu orientiert und sich einen Weg zurechtlegt.»

Die komplizierte Operation gelang. Sie war der erste Schritt auf einem erstaunlichen Weg zurück. «Ich habe ein gutes Körpergefühl, habe meine Grenzen gekannt und immer wieder ausgetestet», sagt Andri. Der Churer Physiotherapeut Marzell Parpan wurde zu einem wichtigen Partner. Über 30 Wochen hinweg arbeitete er eng mit Andri zusammen, förderte die Beweglichkeit seines Knies und beriet Andri beim Aufbautraining. Nach vier Monaten stand Andri zum ersten Mal wieder auf den Skis und nach nur neun Monaten gab er sein Comeback im Weltcup – gleich mit einem Sieg.

«EIN OLYMPIASIEG IST EIN GROSSES ZIEL FÜR MICH.»
Andri Ragettli
Weltmeister und Gesamtweltcupsieger Freeski

Auf den Unfall und das Comeback angesprochen, ist Andri nachdenklich geworden:«Diese Verletzung hat mir die Augen geöffnet Vorher hatte ich manchmal vielleicht das Gefühl, unsterblich oder unverletzlich zu sein. Aber ich habe gelernt, dass ich gut auf meinen Körper achten muss. Und einmal mehr habe ich gesehen, wie wichtig es ist, dass mein Umfeld mit meiner Familie, der Physiotherapie und den Medizinern immer für mich da ist.» 

Stillstand ist Rückschritt: Andri arbeitet unablässig an der Perfektionierung seiner Sprünge
und Tricks, überrascht mit immer neuen Videos in sozialen Netzwerken und verändert seinen äusseren Auftritt. Auch sein Bekl e i d u n g s -partner ELHO war eine Überraschung. Die
einstige Kultmarke war vor 20 Jahren sang- und klanglos verschwunden und wird seit drei Jahren wieder neu belebt. Hinter ELHO steht der Schweizer Kreativkopf Donald Schneider. In New York, Paris und Berlin kreiert er Kampagnen für führende Mode- und Lifestyle-, Automobil- und Konsumgütermarken. 2004 war er es, der Karl Lagerfeld mit H&M zusammenbrachte.
Danach kam eine Reihe von Kooperationen zwischen führenden Marken der Welt. 

Donald Schneider kontaktierte mich und erzählte mir von der Idee, ELHO wieder auferstehen
zu lassen», erzählt Andri. «Im Gespräch hörte er mir genau zu, und schaffte es, mich von seiner Vision zu begeistern. Sein riesiges Wissen in der Modebranche und der Fokus auf die Funktionalität und Quali-tät von ELHO haben mich rasch überzeugt.» Der neue Look von ELHO lässt Erinnerungen an die Zeiten des grossen Snowboardbooms in den Neunzigern aufkommen. «Ein tolles Comeback!», findet Andri.

Den Stil von ELHO kombiniert Andri mit seiner eigenen Linie. Seine Marke ”AiR” führt Shirts, Sweaters,
Caps, Beanies und Brillen. «AiR hilft mir dabei, meinen Namen als Personenmarke aufzubauen.
Viel Geld muss ich damit nicht verdienen», sagt der Geschäftsmann Ragettli. «Die Fans können sich mit mir identifizieren, haben Freude und wenn sie meine Marke tragen, verschaffen sie mir zusätzliche Sichtbarkeit.» Andri sieht sich als Ideengeber für die Marke. «Ich habe auch für das Geschäftliche immer eine Vision. Manchmal weiss ich sofort, wie ich es anpacken will, manchmal aber
auch nicht. Mein Team begleitet mich in all diesen Prozessen von A bis Z.»

Das persönliche Umfeld ist Andri sehr wichtig. Immer wieder erwähnt er es. Sein Erfolg fusst auch darauf, dass eine ganze Reihe
von Leuten sich hinter ihn stellt. Sie und auch Freunde kommen jeweils zu den Wettkämpfen in Graubünden. Für Andri ist das eine riesige Motivation: «Es ist verrückt: Mit dem Big Air im Herbst in Chur, dem Laax Open und dem Saisonfinale auf dem Corvatsch gibt es gleich drei Weltcups in Graubünden! Das zeigt, wie viel wir in diesem Sport erreicht haben.»

Auch bei den Weltmeisterschaften im März wird Andri auf die Unterstützung des Bündner Publikums zählen: «Corvatsch ist der Superpark! Er bietet eine der besten Kickerlines der Welt. Es ist schön zu sehen, wie viel dort in unseren Sport investiert wird.» Auch auf die neue Big Air-Anlage an der St. Moritzer Olympiaschanze freut sich Andri. «Die WM im eigenen Land zu fahren, wird super. Das gibt unserem Sport in der Schweiz noch mehr Schub.»

Für die Fans von Andri reissen die Höhepunkte auch im kommenden Winter nicht ab: Die Olympischen Spiele finden in Norditalien statt und die Freestyle-Wettbewerbe in Livigno. Andri will die Chance packen, endlich auch bei Olympia zu reüssieren. Weltmeister, Weltcup- und dreifacher X-Games- Sieger ist er schon. Olympisches Edelmetall hat er aber noch nie gewonnen. Von einer Hassliebe zu Olympischen Spielen will er dennoch nicht sprechen: «Alles OK zwischen uns», scherzt er über sein Verhältnis zu Olympia. «Ich hatte bis jetzt einfach noch nicht das nötige Quäntchen Glück, das es in jedem Wettkampf braucht. Aber ein Olympiasieg ist ein grosses Ziel für mich.»